Ein Beitrag zur strategischen Fürsorgepflicht in einer globalisierten Arbeitswelt
Mitarbeiter in der Personalabteilung und im Arbeitsschutz sind mit der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen am Arbeitsplatz vertraut. Doch wie sieht es bei beruflichen Auslandsreisen und Entsendungen aus? Führt Ihr Unternehmen systematisch Gefährdungsbeurteilungen für Geschäftsreisen durch? In einem Webinar in Kooperation mit dem Bundesverband der Personalmanager (BPM) erläuterten unsere Experten, Dr. Stefan Eßer, Ärztlicher Leiter Zentraleuropa, und Wolfgang Hofmann, Security Solutions Manager, was bei der Gefährdungsbeurteilung für berufliche Auslandsreisen und Entsendungen zu beachten ist, um der Fürsorgepflicht als Arbeitgeber gerecht zu werden.
Rechtlicher Rahmen und internationale Standards
Die rechtliche Grundlage für Gefährdungsbeurteilungen ist in Deutschland klar geregelt – unter anderem durch das Arbeitsschutzgesetz, die Arbeitsmedizinische Vorsorgeverordnung und das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 618 BGB). Doch mit der zunehmenden Internationalisierung von Geschäftsaktivitäten reicht der nationale Blick nicht mehr aus.
Hier setzt die ISO 31030 an – ein internationaler Leitfaden für das Travel Risk Management. Diese Norm bietet Unternehmen eine strukturierte Orientierung, wie sie Reiserisiken systematisch identifizieren, bewerten und minimieren können. Sie ergänzt nationale Vorschriften und dient als international anerkannter Maßstab – auch vor Gericht.
Drei Säulen der Gefährdungsbeurteilung im Ausland
Die neue Praxisleitlinie der International SOS Foundation, die im Webinar vorgestellt wurde, vereint deutsches Recht mit internationalen Standards und gliedert sich in drei zentrale Bereiche:
1. Arbeitssicherheit im Ausland – technische Sicherheit am Einsatzort
2. Gesundheitsschutz – medizinische Vorsorge, Infrastruktur, Notfallversorgung
3. Reisesicherheit – politische Lage, Kriminalität, individuelle Risikofaktoren
Individuelle Risiken erkennen – und ernst nehmen
Ein zentrales Element der Gefährdungsbeurteilung ist die Berücksichtigung individueller Risikofaktoren: Alter, Geschlecht, Nationalität, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung können in bestimmten Ländern zu erhöhten Gefährdungen führen. Diese Aspekte lassen sich nicht pauschal erfassen – sie erfordern Sensibilität, Kommunikation und Vertrauen.
Von der Theorie zur Praxis: Checklisten und Fallbeispiele
Der vorgestellte Leitfaden zur Gefährdungsbeurteilung bietet praxisnahe Checklisten, die auch Nicht-Experten eine strukturierte Herangehensweise ermöglichen. Sie decken Themen wie medizinische Infrastruktur, Notfallpläne, Verkehrssicherheit oder psychische Belastungen ab – Aspekte, die in der Realität oft über Erfolg oder Misserfolg eines Auslandseinsatzes entscheiden.
Zwei eindrucksvolle Fallbeispiele aus der Praxis – ein Techniker-Einsatz in der Osttürkei und ein Großprojekt in Indien – verdeutlichen, wie wichtig eine frühzeitige, umfassende Vorbereitung ist. In beiden Fällen konnten durch präventive Maßnahmen schwerwiegende Folgen vermieden oder zumindest abgemildert werden.
Workation, USA-Reisen und neue Herausforderungen
Auch neue Arbeitsformen wie „Workation“ werfen Fragen auf: Wer trägt die Verantwortung, wenn Mitarbeitende im Ausland mobil arbeiten? Die klare Empfehlung der Experten: Auch hier ist eine strukturierte Gefährdungsbeurteilung sinnvoll – nicht zuletzt, weil im Ernstfall Hilfe vom Unternehmen erwartet wird.
Ein weiteres aktuelles Thema: Einreiseprobleme in die USA. Obwohl sich die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht geändert haben, kommt es vermehrt zu Problemen bei der Einreise. Auch hier hilft eine gute Vorbereitung – inklusive klarer Reisedokumente, transparenter Kommunikation und realistischer Einschätzung der Reiserisiken.
Fazit: Verantwortung beginnt vor der Abreise
Gefährdungsbeurteilungen für Geschäftsreisen sind kein bürokratischer Selbstzweck, sondern Ausdruck gelebter Fürsorgepflicht. Sie schützen nicht nur die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeitenden, sondern auch die Handlungsfähigkeit und Reputation des Unternehmens.
Die vorgestellte Leitlinie der International SOS Foundation bietet eine wertvolle Orientierung – praxisnah, rechtssicher und international anschlussfähig. Sie ist ein Werkzeug für alle, die Verantwortung tragen: in HR, HSE, Sicherheit, Travel Management und Risikomanagement.